April 30, 2021
Begründung des Anspruchs auf Einziehung von Wertersatz § 73c StGB im Falle der Insolvenz

BGH (IX. Zivilsenat), Beschluss vom 18.02.2021 – IX ZB 6/20

Ein Anspruch auf Einziehung von Wertersatz gem. § 73c StGB entsteht insolvenzrechtlich bereits mit der Erlangung des Gegenstandes der späteren Wertersatzeinziehung durch den Schuldner. Das Eintreten der Rechtskraft einer entsprechenden Anordnung durch Urteil eines Strafgerichts ist hierbei unerheblich und vielmehr als eine Titulierung der Forderung zu sehen.

Zum Sachverhalt:
Der Schuldner erhielt im vorliegenden Fall vor Eröffnung des Insolvenzverfahrens über das Vermögen seines zahlungsunfähigen Unternehmens 46.016,26 € auf einem Firmenkonto, welche er zur Tilgung eines privaten Darlehens nutze. Im Dezember 2017 erfolgte sodann eine Verurteilung des Schuldners wegen Bankrotts gem. § 283 StGB. Der Strafrichter ordnete dabei die Einziehung eines Wertersatzes gem. § 73c StGB für das zur Darlehenstilgung verwendete Geld an. Noch bevor das Urteil des Strafgerichts Rechtskraft erlangen konnte, eröffnete das zuständige Insolvenzgericht unter dem 07.06.2018 das Insolvenzverfahren über das Vermögen des Schuldners. Ein im Anschluss hieran durch das Land Baden-Württemberg mit der Zwangsvollstreckung beauftragter Gerichtsvollzieher lehnte sodann den Vollstreckungsauftrag mit Verweis auf das eröffnete Insolvenzverfahren, da das Insolvenzverfahren eine Einzelvollstreckung gem. § 89 Abs. 1 InsO verbiete.

Nachdem sämtliche Vorinstanzen dem Gerichtsvollzieher zugestimmt hatten, wendete sich das Land Baden-Württemberg an den Bundesgerichtsshof. Mit der von dem Beschwerdegericht durch den Einzelrichter zugelassenen Rechtsbeschwerde erstrebte der Antragsteller die Verpflichtung des Gerichtsvollziehers zur Vollziehung des Vollstreckungsauftrages.

Zur Entscheidung des Bundesgerichtshofs:
Der Bundesgerichtshof hat entschieden, dass die die durch den Gerichtsvollzieher erfolgte Ablehnung des Vollstreckungsauftrages zu Recht erfolgt ist, da der vom Land Baden-Württemberg betriebenen Zwangsvollstreckung das eröffnete Insolvenzverfahren über das Vermögen des Schuldners entgegenstehe. Gemäß § 89 Abs. 1 InsO sind Zwangsvollstreckungen für einzelne Insolvenzgläubiger während der Dauer des Insolvenzverfahrens weder in die Insolvenzmasse noch in das sonstige Vermögen des Schuldners zulässig. Nach Ansicht des BGH wird hiermit der Grundsatz verfolgt, dass das Insolvenzverfahren als Gesamtvollstreckungsverfahren die Einzelzwangsvollstreckung verdrängt und somit eine gleichmäßige Befriedigung aller Gläubiger während der Dauer des Insolvenzverfahrens sichergestellt wird. Dies betreffe gem. § 38 InsO alle Forderungen, die vor dem Zeitpunkt der Verfahrenseröffnung entstanden sind. Hierzu ist insbesondere auch die Einziehungsforderung zu subsumieren. Der Anspruch auf Wertersatz gem. § 73c StGB entstehe ferner insolvenzrechtlich nicht erst mit der Rechtskraft der entsprechenden Anordnung in dem Urteil des Strafgerichts, sondern bereits mit der Erlangung des Gegenstands der späteren Wertersatzeinziehung durch den Schuldner. Aus § 39 Abs. 1 Nr. 3 InsO folgt zudem die Nachrangigkeit einer auf die Einziehung von Wertersatz gerichteten Insolvenzforderung, da die Einziehung von Wertersatz im Sinne dieser Bestimmung Nebenfolge einer Straftat sei, die zu einer Geldzahlung verpflichte.

Entscheidend ist nach Ansicht des BGH, wann die gesetzlichen Voraussetzungen für die Entstehung des Anspruchs eintreten. Im Falle der Einziehung von Wertersatz ist daher allein die Begehung der zugrundeliegenden Straftat und das damit einhergehende Erlangen des Gegenstandes der Wertersatzeinziehung durch den Täter entscheidend. Eine zuvor erfolgte rechtskräftige Anordnung der Wertersatzeinziehung durch das Strafgericht ist demnach nicht maßgeblich. Diese Wertung entspreche auch dem Willen des Gesetzgebers.

Die angefochtene Entscheidung wurde durch den BGH jedoch trotzdem aufgehoben und an das Landgericht zurückverwiesen, da sie durch einen Einzelrichter erlassen wurde, welcher die Rechtsbeschwerde zuließ, weil er der Sache eine grundsätzliche Bedeutung i. S. d. § 574 Abs. 2 Nr. 1 ZPO beimaß. Bei Vorliegen einer solchen Bedeutung bestimmt § 568 S. 2 ZPO, dass der gesamte Spruchkörper den Beschluss erlassen muss. Vorliegend habe daher ein falscher Richter (wenngleich sachlich korrekt) entschieden.

Die hier vom BGH eingenommene Position bedeutet für die Praxis, dass eine Insolvenzforderung gem. § 38 InsO dann vorliegt, wenn ein anspruchsbegründender Tatbestand bereits vor Verfahrenseröffnung abgeschlossen ist; unabhängig davon, ob sich die konkrete Forderung des Gläubigers daraus erst nach Beginn des Insolvenzverfahrens ergibt. Somit muss lediglich die schuldrechtliche Grundlage des Anspruchs vor Verfahrenseröffnung entstanden sein.

Zum Autor:
Oliver Nolte ist seit 2018 als Wirtschaftsjurist in der MÖNIG Wirtschaftskanzlei in Münster tätig und unterstützt Unternehmen in der gerichtlichen Restrukturierung im Rahmen von Eigenverwaltungs- und Regelinsolvenzverfahren sowie in der außergerichtlichen Sanierung. Herr Nolte ist seit 2020 zertifizierter Restrukturierungs- und Sanierungsberater (IfUS).