MINDESTLOHN NICHT GEGEN INSOLVENZANFECHTUNG GESCHÜTZT
September 3, 2022
MINDESTLOHN NICHT GEGEN INSOLVENZANFECHTUNG GESCHÜTZT

1. Keine Sicherung des Mindestlohns bei Erfüllung der Voraussetzungen der Insolvenzanfechtung
Die Insolvenzordnung (InsO) will Vermögensabflüsse im Zeitpunkt der finanziellen Krise eines Unternehmens zugunsten einzelner Gläubiger verhindern. In den Wochen und Monaten vor einem Insolvenzantrag werden häufig bereits dem Schuldner nahestehende Gläubiger oder notwendige Vertragspartner bevorzugt behandelt. Diese Sondervorteile kann in einem späteren Insolvenzverfahren der Insolvenzverwalter dem Gläubiger gegenüber unter bestimmten Voraussetzungen anfechten und in die Masse zurückverlangen.

1.1 Sachverhalt
Einen entsprechenden Fall hatte das Bundesarbeitsgericht (BAG) unlängst für die Zahlung von Gehältern zu entscheiden. Der Schuldner hatte nach Eintritt der unbestrittenen Zahlungsunfähigkeit – seine Verbindlichkeiten beliefen sich auf über 1,2 Mio. EURO – ein Konto seiner Mutter zur Abwicklung des Zahlungsverkehrs genutzt. Diesem hatte er durch Bareinzahlungen oder Direktzahlungen seiner Kunden die finanziellen Mittel zugeführt, um mit diesen Mitteln dann Zahlungen an seine Gläubiger – eben auch Arbeitnehmer – zu veranlassen. Diese Vorgehensweise ist eine in der Praxis gängige Methode, wenn die eigenen Geschäftskonten mit Pfändungs- und Einziehungsverfügungen – etwa der institutionellen Gläubiger – belegt sind und eine Verfügung damit ausgeschlossen. Die Zahlungen an die hier verklagte Arbeitnehmerin erfolgten im letzten und vorletzten Monat vor der Stellung des Insolvenzantrages. Während das Arbeitsgericht Gießen die Klage vollumfänglich abgewiesen hatte, bejahte das Hessische Landesarbeitsgericht in der zweiten Instanz die grundsätzliche Anfechtbarkeit wegen einer inkongruenten Befriedigung, lehnte eine Rückforderung des Mindestlohns allerdings ab.

1.2 Entscheidungsgründe des BAG
Das BAG ist dieser Einschätzung nicht gefolgt. Vielmehr sieht es die gesamte Gehaltszahlung als anfechtbar nach § 131 Abs. 1 Nr. 1 und 2 InsO an.

1.2.1.
Jede Anfechtung setzt dabei eine Rechtshandlung des Schuldners voraus, die zu einer Gläubigerbenachteiligung führt. Die Rechtshandlung lag hier in der Anweisung an die Mutter, Zahlungen an Dritte vorzunehmen. Dies hatte auch eine Gläubigerbenachteiligung zur Folge. Durch die Ausstattung des Kontos eines Dritten mit Mitteln des Schuldners wurde dessen Vermögensmasse verkürzt und stand den Gläubiger nicht mehr zur Verfügung. Es handelte sich um einen klassischen Fall der Vermögensverschiebung auf eine dritte Person, um über diese eine bevorzugte Befriedigung einzelner Gläubiger zulasten der übrigen herbeizuführen.

1.2.2.
Auch bejahte das BAG in der Nutzung des Kontos der Mutter eine inkongruente Befriedigung. Von Inkongruenz spricht man immer dann, wenn sich die konkrete Leistung und die vertraglich geschuldete Leistung nicht decken. Was der Gläubiger beanspruchen kann und wozu der Schuldner verpflichtet ist, ist dabei keine insolvenzrechtliche, sondern eine materiell-rechtliche Frage. Es kommt darauf an, was die Parteien tatsächlich – und zwar ausdrücklich oder konkludent – vereinbart haben und nicht, was man theoretisch hätte vereinbaren können. Beispiele einer inkongruenten Befriedigung sind etwa die Hingabe von Waren oder Erbringung von Dienstleistungen statt der Bezahlung, die Weitergabe von Kundenschecks oder jede Art der Zwangsvollstreckung. Vorliegend wurde die Einschaltung der Mutter als Zahlungsmittlerin nicht als der Verkehrssitte entsprechend und ungewöhnlicher Erfüllungsweg im arbeitsvertraglichen Austauschverhältnis gewertet.

1.2.3.
Die Entscheidung erging zu den vorher geltenden gesetzlichen Regelungen des Bargeschäftes nach § 142 InsO a.F., die bei inkongruenter Deckung nicht einschlägig waren.

1.2.4.
Das BAG bejahte damit grundsätzlich die Anfechtung und schränkte den Erstattungsanspruch nicht durch verfassungsrechtliche Überlegungen zu Mindestlohn und Existenzminimum ein. Der Schutz des Existenzminimums wird durch die Pfändungsschutzvorschriften der Zivilprozessordnung (ZPO) und durch das Sozialrecht gewährleistet. Die Rechtswirkungen des Mindestlohngesetzes enden bei Erfüllung des Anspruchs durch Zahlung. Einen Ausschluss der Anfechtbarkeit hat der Gesetzgeber nicht vorgesehen, was das BAG veranlasste, der Klage in voller Höhe stattzugeben.

2. Fazit
„Was ich erst einmal habe, habe ich“ – das ist in der Krise nicht immer der richtige Ansatzpunkt. Treten in Ihrem Unternehmen Zahlungsschwierigkeiten auf oder sind Sie als Gläubiger mit entsprechenden Anfragen ihrer säumigen Kunden konfrontiert, alternative Begleichungsmöglichkeiten zu akzeptieren, ist Vorsicht geboten. Sprechen Sie uns gerne für rechtssichere Lösungswege auch in der Krise an.

Zur Autorin:
Marion Gutheil ist Fachanwältin für Insolvenz- und Sanierungsrecht und Mediatorin. Sie leitet die MÖNIG-Standorte in Düsseldorf, Hagen und Großwallstadt. Neben der Arbeit als Insolvenzverwalterin und Sachwalterin berät sie Unternehmen in der Eigenverwaltung und begleitet diese als Generalbevollmächtigte im Verfahren. Wirtschaftsrechtliche Themen rund um Sanierung, Restrukturierung und Insolvenz sowie die juristische Beratung beim Erwerb von Krisenunternehmen gehören zu ihren Schwerpunkten.