DIE DEUTSCHE DIGITALISIERUNG SCHREITET VORAN – JEDENFALLS IM BGB
Januar 16, 2022
DIE DEUTSCHE DIGITALISIERUNG SCHREITET VORAN – JEDENFALLS IM BGB

Am 01.01.2022 sind wichtige Änderungen im BGB in Kraft getreten. Diese hatte der deutsche Gesetzgeber im Juni 2021 durch die Umsetzung zwei neuer EU-Richtlinien in deutsches Recht eingeführt: Die Europäische Warenkaufrichtlinie (WKRL – (EU) 2019/711) und die Richtlinie über digitale Inhalte und Dienstleistungen (DIDRL – ( EU) 2019/770) sind ein weiterer Schritt hin zur Vollharmonisierung des Vertragsrechts innerhalb der EU. Dadurch soll insbesondere kleinen und mittelständischen Unternehmen der grenzüberschreitende Handel erleichtert werden, während Verbraucher in den Genuss einer größeren Produktvielfalt und attraktiver Preise kommen, ohne sich den Regeln einer fremden Rechtsordnung unterwerfen zu müssen.

Beide Richtlinien enthalten Regeln, die insbesondere an die zunehmende Digitalisierung angepasst sind. Ein Novum im BGB, denn dieses enthielt bislang keine speziellen Verbrauchervorschriften für Verträge mit digitalen Produkten. Die WKRL ersetzt die bisherige Verbrauchsgüterkaufrichtlinie und soll insbesondere die Verbraucherrechte beim Kauf von Waren mit digitalen Elementen, wie z.B. Tablets, Smartwatches oder auch Kraftfahrzeugen mit integrierter Navigation, stärken. Die DIDRL beschert dem BGB sogar einen neuen Vertragstypus und normiert erstmalig Verbraucherverträge über digitale Inhalte, wie z.B. Computerprogramme, Videospiele, etc. und digitale Dienstleistungen wie Streamingdienste.

Neben den v.a. auf die fortschreitenden Digitalisierung zugeschnittenen Vorschriften, verändern die Neuregelungen ab dem 01.01.2022 auch das allgemeine Kaufrecht. Die wichtigsten Änderungen im Überblick:

1. Änderung des Sachmangelbegriffs in § 434 Abs. 1 BGB
Bislang war eine Kaufsache nach § 434 Abs. 1 BGB a.F. primär dann frei von Sachmängeln, wenn sie bei Gefahrübergang die vereinbarte Beschaffenheit hatte. Nur wenn keine Beschaffenheit vereinbart war, wurde nachranging auf die nach dem Vertrag vorausgesetzte Verwendung und ansonsten noch einmal nachrangig auf die gewöhnliche Verwendung und die übliche Beschaffenheit bei Sachen gleicher Art abgestellt. Im neuen § 434 Abs. 1 BGB ist eine Sache dagegen nur noch dann frei von Sachmängeln, wenn sie zusätzlich zu den von den Parteien vereinbarten subjektiven Anforderungen stets auch den objektiven Anforderungen und den Montageanforderungen entspricht. Sofern nicht ausnahmsweise wirksam vereinbart wurde, dass die Sache nicht den objektiven Anforderungen entspricht, muss sie von nun an immer auch der üblichen Beschaffenheit vergleichbarer Sachen entsprechen und sich für die gewöhnliche Verwendung eignen. Eine Sache kann damit von nun an auch mangelhaft sein, wenn sie sich zwar für die vertraglich vereinbarte, nicht aber für die gewöhnliche Verwendung eignet.

§ 434 BGB gilt – wie auch vor der Einführung der jetzigen Neuregelungen – nicht nur für Verbraucherverträge, sondern für alle Kaufverträge, also auch solche zwischen zwei Unternehmern oder zwei Verbrauchern. Insofern hat der deutsche Gesetzgeber die neue WKRL in einem weiterem Umfang in deutsches Recht umgesetzt, als in der Richtlinie vorgesehen.

2. Verschärfte Anforderungen an negative Beschaffenheitsvereinbarungen
Zusätzlich zum neuen Sachmangelbegriff wurden durch § 476 BGB bei Verbrauchsgüterkaufverträgen die Hürden für negative Beschaffenheitsvereinbarungen (bspw. Vereinbarungen von Gebrauchsspuren) beim Verkauf von gebrauchter Ware, B-Ware, etc. erhöht. Diese können künftig nur dann verbindlich vereinbart werden, wenn der Verbraucher vor Abgabe seiner Erklärung persönlich und gesondert darüber informiert wurde, dass ein bestimmtes Merkmal nicht den objektiven Anforderungen entspricht. Ausschilderungen an der Ware, Produktbeschreibungen oder Ausführungen in Allgemeinen Geschäftsbedingungen, die Auskunft über Mängel geben, sind nicht mehr ausreichend.

3. Einführung der §§ 327 ff. BGB – Verträge über die Bereitstellung digitaler Produkte
Mit den §§ 327 ff. BGB hat der Gesetzgeber einen neuen Vertragstyp und damit verbunden neue Rechtsbegriffe ins BGB eingeführt. Die Normen betreffen Verbraucherverträge über die Bereitstellung digitaler Produkte. Sie enthalten in §§ 327e ff. BGB ein eigenes Gewährleistungsregime und sind unabhängig vom Kaufrecht anwendbar. Unter digitalen Produkten versteht das Gesetz sowohl digitale Inhalte als auch digitale Dienstleistungen. Digitale Inhalte sind Daten, die in digitaler Form erstellt und bereitgestellt werden. Digitale Dienstleistungen sind solche, die dem Verbraucher die Erstellung, die Verarbeitung oder die Speicherung von Daten in digitaler Form oder den Zugang zu solchen Daten ermöglichen (§ 327 Abs. 2 BGB).

Die Abgrenzung von Verbraucherverträgen über digitale Produkte und Waren mit digitalen Elementen erfolgt nach § 475a BGB: Auf rein digitale Produkte sind ausschließlich die neuen §§ 327 ff. BGB anwendbar. Bei Ware, die digitale Produkte enthält oder mit solchen verbun-den ist, richtet sich das Gewährleistungsrecht für den analogen Teil nach Kaufrecht und für den digitalen Teil nach §§ 327 ff. BGB, sofern die Ware ihre Funktion auch ohne das digitale Element erfüllen kann.

4. Aktualisierungspflicht („Update-Pflicht“)
Die Verkäufer von digitalen Produkten und Waren mit digitalen Elementen trifft nach §§ 327f, 475b BGB eine Aktualisierungspflicht, die vorwiegend das Ziel verfolgt, durch Sicherheits-Updates vor dem unbefugten Zugriff Dritter zu schützen und die Funktionsfähigkeit der Geräte sicherzustellen. Gewährleistungsrechte können somit künftig auch dann entstehen, wenn die Ware bei Gefahrübergang mangelfrei war, spätere Pflichten zur Bereitstellung von Aktualisierungsmöglichkeiten jedoch nicht erfüllt wurden. Umfasst sind dabei lediglich funktionserhaltende Updates. Verbessernde Updates muss der Verkäufer nicht zur Verfügung stellen. Betroffen sind Geräte bei denen digitale Elemente für die Funktionsfähigkeit der Ware entscheidend sind. Für die Dauer der Aktualisierungspflicht sind die Umstände des Einzelfalles, insbesondere die Verbrauchererwartung, entscheidend. (Anhaltspunkte sind bspw. Werbeaussagen, Materialien, Preis, „life-cycle“ etc.) Sie umfasst zumindest den Zeit-raum, innerhalb dessen der Unternehmer für die Vertragswidrigkeit haftet, d.h. in der Regel mindestens zwei Jahre.

5. Erleichterte Rücktritts- und Schadensersatzmöglichkeiten für Verbraucherkäufer
Verbraucher können ab sofort leichter von Verbrauchsgüterkaufverträgen zurücktreten. § 475d BGB normiert fünf Fälle, in denen der Verbraucher für die Ausübung seines Rücktritts-rechts oder Geltendmachung seiner Schadensersatzansprüche keine Frist zu Nacherfüllung setzen muss. Ein solcher Fall liegt unter anderem dann vor, wenn der über den Mangel unterrichtete Unternehmer nicht von sich aus innerhalb einer angemessenen Frist die Nacherfüllung vorgenommen hat oder sich der Mangel trotz der vom Unternehmer versuchten Nacherfüllung noch zeigt.

6. Verlängerte Beweislastumkehr und Verjährung beim Verbrauchsgüterkauf
Ab sofort ist die Frist des § 477 BGB, der zugunsten des Verbrauchers eine Beweislastumkehr bei Sachmängeln im Rahmen eines Verbrauchsgüterkaufes regelt, verlängert. Statt wie bisher sechs Monate beträgt sie nun zwölf Monate. Bei Produkten mit dauerhafter Bereitstellung digitaler Elemente, soll die Beweisastumkehr für den gesamten Bereitstellungszeit-raum oder einen Mindestzeitraum von zwei Jahren gelten.

§ 475e BGB bestimmt, dass Gewährleistungsrechte an dauerhaft bereitgestellten digitalen Elementen frühestens zwölf Monate nach Ende des Bereitstellungszeitraums verjähren. Ansprüche wegen Verletzung der Aktualisierungspflicht enden nicht vor Ablauf von zwölf Monaten nach dem Ende des Zeitraums der Aktualisierungspflicht.

Für Mängel, die sich innerhalb der Verjährungsfrist gezeigt haben, bestimmt § 475e Abs. 3 BGB, dass die Verjährung nicht vor Ablauf von vier Monaten nach dem Zeitpunkt eintreten soll, in dem sich der Mangel erstmals gezeigt hat. Eine zweijährige Verjährungsfrist kann sich so – durch einen kurz vor Verjährung auftretenden Mangel – schnell auf fast 28 Monate verlängern. Eine ähnliche Ablaufhemmung ist für den Fall vorgesehen, dass der Verbraucher die Ware zwecks Nacherfüllung oder zur Erfüllung von Ansprüchen aus einer Garantie an den Unternehmer übergeben hat. Die Verjährung der Gewährleistungsansprüche tritt in diesem Fall frühestens zwei Monate nach Übergabe der nachgebesserten oder ersetzten Ware an den Verbraucher ein.

Unternehmer sollten sich spätestens jetzt mit den neuen Regelungen vertraut machen und einmal ihr Vertragswerk, insbesondere ihre Allgemeinen Geschäftsbedingungen daraufhin überprüfen, ob diese ggf. angepasst werden sollten. Gerne stehen wir Ihnen hierbei mit Rat und Tat zur Seite.

Zur Autorin:
Clarissa Tietz, LL.M. ist als Rechtsanwältin in der MÖNIG Wirtschaftskanzlei in Münster tätig und unterstützt Unternehmen in Fragen des Wirtschaftsrechts sowie Nachfolge- und Erbrechtsangelegenheiten.